woodland

Seit 2012

Das Zeitalter der Wildnis

Und plötzlich das Innehalten der Augen. Das Erwachen der Sinne. Der Phantasie. Der Erscheinungen. Und manchmal kippt der Blick in seiner Orientierungslosigkeit plötzlich ins Irrationale. Aus dem Glücksmoment wird ein Erregungsmoment. Unkontrolliert und emotional: Hier erblickt das Auge noch ein letztes Mal die Unersättlichkeit des Chlorophylls. Die Wildnis einer vermeintlichen Idylle. Was der Betrachter dieser Außenbilder unvermittelt erlebt, sind Innenbilder. Ist das diffuse Unbehagen, etwas Lebendem, Lebendigem gegenüberzustehen. Einem fremden, furchteinflößenden System ausgeliefert zu sein, das wir unter Aufbietung von Vernunft und Wissen weder begreifen, kontrollieren, noch disziplinieren können. Es ist die Entstehung von Wildnis, von Lebensstoff – im Übermaß. Der Betrachter, süchtig nach Erfahrungen, Fremde, Farbe, Geräuschen und Gerüchen, würde sich darin verlieren, würde er keine ordnende oder vernichtende Gewalt anwenden.

Das fotografische Abbild ist eine Sekundenarbeit: Denn die Natur verändert beständig ihr Aussehen. Ihre Bedürfnisse. Ihre formalen Gegebenheiten von Geäst, Blüten, Nadeln und Samen. Die Wälder in Deutschland, Europa und Südamerika unterscheiden sich im Verhalten und Aussehen. Zwischen dem halb disziplinierten Europa und den Verwilderungen in Südamerika gibt es „naturgemäß“ den größten Unterschied: Den der inszenierten, kontrollierten Wälder in Europa und den wilden, urwüchsigen Dschungel, dem europäische Stereotype fremd sind.

Das Unterwegssein ist ein Seins-Zustand. Wohin unsere Augen in diesem Holzgespinst unterwegs sind: Ob wir in der Gegenwart Fuß fassen oder in die Vergangenheit zurückkehren. Kunst ist noch immer Neuland, das erst entdeckt werden muss. Für das übermüdete Auge des Betrachters eine Herausforderung, die alle Sinne beansprucht. Und dieses reagiert auf unsere Wälder mit Beifall oder Verängstigung. Im Brackwasser unserer alltäglichen Sehgewohnheiten mit Ratlosigkeit. Die vorliegenden Fotografien dienen als Trainingsgelände für unser Auge und in diesen Zeiten der wachsenden Bilderflut als eine letzte Möglichkeit der Selbsterkenntnis.

Walter Aue